Die Auslegung von Lüftungs- und Klimatisierungsanlagen im Baubereich steckt, im Vergleich zu den komplexen Strömungssimulationen bei der Entwicklung von Fahrzeugen, doch noch sehr in den Kinderschuhen.
Im Auto würden Tester sofort bemängeln, wenn die Klimaanlage zu lange braucht, um das Fahrzeug im Sommer herunter zu kühlen oder im Winter die Scheiben zu enteisen und den Innenraum aufzuwärmen. Das Ganze darf auch nicht ziehen oder gar zu laut sein.
Hierfür gibt es klare Kriterien, die eingehalten werden müssen.
Dagegen ist man im Baubereich schon viel hemdsärmeliger unterwegs: Raumvolumen x Luftwechselrate ist gleich erforderlicher Volumenstrom. Was die Luft im Raum so anstellt, ist dagegen eher Nebensache.
Ob es zieht oder ob es im Raum zu kalt oder zu heiß wird, bleibt dem subjektiven Empfinden überlassen. Es kann auch passieren, dass die einströmende Luft gleich wieder abgesaugt wird. Wo die Temperatursensoren positioniert sind ist eher Glückssache. Da kann es schon sein, dass die Klimaanlage zwischen zwei Extremen hin und her steuert. Thermische Langeweile (es tut sich gar nichts, gleich warm, gleich kalt) kommt hier auf jeden Fall nicht auf.
In der Regel werden die Klimageräte überdimensioniert nach Norm ausgelegt, um sicherzustellen, dass der Raum auch bei einer schlechten Anordnung der Zu- und Abluftkanäle beheizt und gekühlt werden kann. Wirtschaftlich ist das keineswegs, dem Architekten ist es egal und der Klimabauer wird nach kg/Blech bezahlt. Warum also hier am eigenen Geldbeutel sparen?
Der Bauherr, der eigentliche Nutznießer einer billigeren und sparsamen Anlage, hat oft nicht das erforderliche Fachwissen, obwohl er derjenige ist, der von einer halb so großen, durchdachten und funktionierenden Anlage mit einer besseren Leistung und der Hälfte der Energiekosten am meisten profitieren würde.
Zu gleichmäßig sollte die Raumtemperatur aber auch nicht sein, da sich ein Mensch hier auch nicht wohl fühlt (den Begriff der thermischen Langeweile gibt es tatsächlich).
Am besten sieht man das an einem anschaulichen Beispiel: dem Businessclub des 1. FC Heidenheim der 2. Fußballbundesliga.
Warum ausgerechnet dort? Ganz einfach: Die Voith-Arena ist lediglich 2 km Luftlinie von unserem Büro in Heidenheim entfernt und wir haben als Bronzesponsor die für eine Simulation notwendigen CAD-Daten für die nachstehende Untersuchung zur Verfügung gestellt bekommen.
Herzlichen Dank an dieser Stelle an Holger Sanwald vom FCH sowie an Robert Kohler von ADK-Modulraum.
Gefühlte Unterschiede kann man an den drei Bauabschnitten wahrnehmen – den Business Clubs 1, 2 und 3 der Voith-Arena.
Während der 1. Businessclub noch Kinderkrankheiten aufweist, ist das Lüftungskonzept beim Businessclub 3 wesentlich durchdachter.
Perfekt ist es noch nicht, wie man selbst feststellen kann, wenn sich im Sommer die Fußballmannschaft des FCH auf dem Rasen quält und man in der Pause oder auch vor und nach dem Spiel am falschen Tisch sitzt. Es gibt Plätze, an denen es zieht und es gibt Plätze, an denen die Luft zu stehen scheint.
Abbildung 1 zeigt die Lage des in der Simulation betrachteten Businessclubs 3 in der Voith-Arena aus einer Perspektive eines sehr hoch fliegenden Vogels.
In Abbildung 2 sehen Sie eine Ansicht von Innen. Im Bild sind wegen Corona aktuell keine Leute zu sehen, obwohl Holger Sanwald und seine Mannschaft sich große Mühe mit einem ausgeklügelten Hygienekonzept gegeben haben. Die politische Konzeptlosigkeit war leider stärker.
Folgende beide Videos zeigen einen Gang durch das Gebäude bei einem stationären Strömungszustand. Dargestellt ist die Strömungsgeschwindigkeit einmal in Form von Isoflächen (gleiche Farbe = gleiche Geschwindigkeit) und einmal entlang von Stromlinien. Eine Stromlinie ist der Weg eines Luftpartikels im Raum, vom Eingangskanal bis zum Ausgangskanal.
Die Unterschiede in den Geschwindigkeiten ist das, was man wahrnehmen kann. Ist sie zu hoch, zieht es, ist sie zu gering, wird der Bereich nicht ausreichend durchströmt.
Zur Verdeutlichung sind in Abbildung 3 die Strömungsverhältnisse in einem Fahrzeug dargestellt. Hier kann man sich die Bedeutung der Stromlinien besser vorstellen.
Man kann also klare Kriterien definieren, wie man die Qualität des Luftaustausches objektiv bewerten kann. Auch die Temperaturen oder die Luftfeuchtigkeit im Raum können betrachtet und bewertet werden. Hierzu ist eine Erweiterung des Modells nötig, um Effekte wie Sonneneinstrahlung und Isolierung des Raumes betrachten zu können.
Bei der Berechnung der Temperaturen muss auch berücksichtigt werden, dass jede Person im Raum ein kleiner Ofen mit 100 W Wärmeentwicklung ist.
Auch das aktuelle Lieblingsthema Lufthygiene ist mit diesen Ansätzen besser bewertbar. Ich werde dies ausführlicher in einem meiner nächsten Blogs behandeln.
Wir arbeiten aktuell mit einem Startup zusammen, um die Strömungsergebnisse bei einer Begehung des Raumes durch Augmented Reality (erweiterte Realität) sehen zu können.
Ein iPad genügt hier schon. Der Blick durch die Kamera überlagert mit den Simulationsergebnissen zeigt Ihnen dann, wo es zieht oder stickig ist.
Sind Sie neugierig geworden? Schicken Sie mir gerne eine kurze Mail.
Wir zeigen Ihnen unverbindlich, was in diesen Bereichen bereits geht und wie auch Sie von unserem Knowhow profitieren können.
Ihr Stefan Merkle
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