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Auf Messers Schneide – oder, was Ihnen virtuelle Modelle niemals beibringen können

Nachdem die Welt um uns herum angesichts eines Virus in Ohnmacht versinkt und sogar meine geliebte allwöchentliche Skatrunde ausfällt, da unser Restaurant ab 18 Uhr geschlossen ist, möchte ich Sie in eine etwas andere Welt entführen, die leider am Computer viel zu kurz kommt.

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Nachdem die Welt um uns herum angesichts eines Virus in Ohnmacht versinkt und sogar meine geliebte allwöchentliche Skatrunde ausfällt, da unser Restaurant ab 18 Uhr geschlossen ist, möchte ich Sie in eine etwas andere Welt entführen, die leider am Computer viel zu kurz kommt.

Ich habe meinem Sohn Julian zum Geburtstag einen gemeinsamen Messerschmiedekurs geschenkt, an dem wir beide vor ca. 2 Wochen teilgenommen haben.

In meiner Jugend, als die Waffengesetze noch nicht so streng waren, habe ich mich mehr oder weniger gut an der Herstellung von Wurfbeilen, Wurfsternen und Wurfmessern versucht und da doch den ein- oder anderen Schiffbruch erlitten. Bei meinen Wurfsternen sind z.B. immer die Spitzen abgebrochen, obwohl ich so stolz auf meinen Härteprozess (Holzofengrill und Wassereimer) war.

Was ist also besser, als sich die Herstellung von Messern von einem Fachmann, in diesem Fall Frithjof Güttler aus Albeck, zeigen zu lassen und selber Hand anzulegen.

Wenn schon ein selbst gefertigtes Messer, dann aus Damaszenerstahl, von dem ich fälschlicherweise der Meinung war, dass er durch das viele Falten des Stahls beim Schmieden besonders hart und scharf wird. Weit gefehlt, das Ganze hat nur den Zweck, nachher gut auszusehen – und das tut es in der Tat. Ansonsten ist die Festigkeit, Schärfe und Härte mit einem schnöden Messerstahl vergleichbar.

Wie entsteht nun Damaszenerstahl heutzutage? In Japan durch Behandlung mit Pflanzensäften, bei uns durch Kombination von verschiedenen Werkstoffen.

Was haben wir also gemacht?

Aus einem Blechpaket mit mehreren, abwechselnden Lagen aus einem Werkzeugstahl (1.2842), der die dunkle Komponente gibt und einem Nickelstahl (1.5663) für die helle Komponente wird am ersten Tag einen Rohling geschmiedet, der immer wieder geglüht, geteilt, gefaltet, geglüht und dann mit dem Hammer und einer Presse wieder ausgereckt wird.

Blätterteig wird genauso hergestellt, habe ich mir sagen lassen, nur der Ofen, der Hammer und der Ambos fallen da weg.

Der Ofen mit dem Schmiedefeuer wird mit zwei Gasflaschen betrieben und hat eine Leistung von 18 kW. Das Gas wird in der Mitte des Rohres tangential eingeleitet. Durch eingefräste Kanäle im Rohr wird die Flamme so geleitet, dass Sie an den Enden reflektiert wird und das Innere gleichmäßig erwärmt, ohne beim Öffnen eine Stichflamme nach vorne zu geben.

Das folgende Video zeigt die Flammführung im Ofen.

Video-Player

Die Auslegung eines solchen Ofens über CFD würde das Herz eines jeden Strömungsmechanikers bei Merkle & Partner höherschlagen lassen, vermutlich wären aber die Kosten dafür für eine handwerkliche Schmiede nicht tragbar.

Mit dem Bandschleifgerät wird der Rohling dann in Form gebracht und nach einer Wärmebehandlung in einem elektrischen Muffelofen mit genauer Temperatursteuerung bei 820 °C durch Abschrecken in Fett gehärtet.

Fett deswegen, weil dann das Material nicht zu spröde wird und es einen guten Kompromiss zwischen Härte und Zähigkeit gibt. Meine Wurfsterne lassen grüßen …

Das Anlassen erfolgt unmittelbar nach dem Härten in einem herkömmlichen Backofen bei Temperaturen um die 200°C.

Die zeitaufreibendste Arbeit ist das Oberflächenfinish: die Schneide wird auf beiden Seiten von Hand mit einem Schleifstein mit ausreichend Öl glattgeschliffen, bis keinerlei Riefen mehr zu sehen sind.

Die Konturen des Musters auf dem Messer lassen sich jetzt bereits ganz leicht erahnen, kommen aber nach einer Ätzung mit Eisen3Chlorid erstmals richtig zur Geltung.

Die Herstellung des Griffs aus Holz ist vergleichsweise unspektakulär. Es wird in der Holzbohrung mit einem Zweikomponentenharz eingeklebt. Anschließend nach dem Aushärten wird der Griff mit dem Bandschleifer und anschließend mit Schleifpapier von Hand in die richtige Form gebracht.

Jetzt wird das Messer mit verschiedenen Schleifsteinen unterschiedlicher Körnung geschliffen. Wichtig ist hier, dass beim Schleifen in etwa immer der gleiche Winkel eingehalten wird.

Der Test mit dem Daumennagel zeigt auch kleinste Unebenheiten im Schliff. Hier führt man die Schneide ganz leicht über den Daumennagel. Man sollte nicht zu stark drücken, sonst hat man einen gespaltenen Daumen. ????

Der Papiertest am Schluss zeigt, ob das Messer wirklich scharf ist oder ob es noch an manchen Stellen rupft.

Wie man ein Messer richtig schärft, sehen Sie im Video.

Was haben wir gelernt?

Wenn man ein japanisches und ein europäisches Schwert gegeneinander schlägt, geht immer eines kaputt und es ist nicht immer nur das europäische …

  • Ich habe zuhause kein einziges, wirklich scharfes Messer. Aber das wird jetzt anders.
  • Messer gehören nicht in die Spülmaschine, wenn man zu blöd zum Schleifen ist. Sonst kann man das aber schon …
  • Von Schleifen hatte ich bis jetzt keine Ahnung.
  • Praktische Intelligenz ist es, wenn man einen funktionierenden Ofen auch bauen kann, ohne Strömungsmechanik zu studieren.
  • Man bekommt ein ganz anderes Gefühl zu einem Werkstoff, wenn man ihn schmiedet, härtet und schleift, als wenn er nur eine Nummer in einer Tabelle ist, von dem man die Spannungs-Dehnungskurve kennt.
  • Niemals das Gemüse nach dem Schnippeln mit der Schneide auf dem Brett auf die Seite schieben, sondern das Messer umdrehen und den Rücken aufsetzen. Sonst verkaufen einem manche Profis keine teuren Messer.
  • Man könnte auch Wurfbeile aus Damaszenerstahl bauen, und zwar solche, bei denen der Stiel nicht nach 5 Würfen kaputt ist …

Bis jetzt habe ich mich noch nicht getraut, mein Messer in der Küche zu verwenden, aber das wird noch.

Wir möchten die 2 ½ Tage nicht missen, die uns aus dem Alltag gerissen haben.
Ganz lieben Dank an Dich, Freddie. Es hat richtig Spaß gemacht. Demnächst rücke ich mit einer Ladung stumpfer Küchenmesser bei Dir an.

Ich hoffe, Sie hatten etwas Spaß beim Lesen.

Halten Sie durch! Jede Krise ist immer auch eine Chance!

Ihr Stefan Merkle

PS: Selbstverständlich können wir auch Ihren Schmiedeprozess rechnerisch abbilden, allerdings ohne Damaszenerstahl. Aber das ist ja eh nur Optik. Und beim Ofen müssen Sie auch nicht empirisch testen, ob die Flamme nach Ihnen schlägt. ????

Kommentare und Antworten

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Bemerkungen :

  • user
    Hannes Lünzmann 16-01-23 um 9:54
    Hallo Herr Merkle,
    nette Geschichte; reißt aus dem Alltag!
    Ich finde den Blog gut; weiter so.
    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Hannes Lünzmann, Rickmeier GmbH
  • user
    Joachim Hussing 16-01-23 um 9:53
    Dies war ein interessanter Blog über Messer. Ich würde gerne einige neue Messer für meine Küche bekommen. Ich werde sicherstellen, dass meine Messer nach dem Kauf scharf bleiben.
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